Interview mit Tobias Trommer
Interview mit Tobias Trommer; Halbinsel Stralau; 29. Mai 2012
Peter Cusack, Valeria Merlini
Tobias Trommer lebt in Stralau und kennt das Ostkreuz, Rummelsburg und Stralau seit seiner Kindheit. Er ist Posaunist und außerdem sehr aktiv in der Bürgerschaft; er ist an Diskussionen über die Gegend sowie über Planungen neuer Gebäude – besonders die Vorschläge für An der Mole – beteiligt und in der Anti-A100-kampagne involviert.
Wir haben uns mit ihm getroffen, um über seine Erinnerungen und Standpunkte zu Klang-Landschaften in Rummelsburg und Stralau zu sprechen und um herauszufinden, welche Rolle Klang bei den Planungskommissionen spielt, an denen er teilnimmt.
TT – Meine Name ist Tobias Trommer, ich wohne seit 12 Jahren auf der Halbinsel Stralau. Ich engagiere mich im Bürgerforum Stralau und im Netzwerk der Initiativen rund um das Ostkreuz. Meine ersten Erfahrungen mit der Halbinsel habe ich als Kind gemacht: als Schüler musste ich ab und zu mal unter der Brücke an der Hauptstraße am Ostkreuz entlanggehen. Das war für mich furchtbar weil es war sehr laut war: da fuhren lauter LKWs lang und es war mir sehr unangenehm.
Die Halbinsel Stralau war damals Industriegebiet. Ich bin nur ganz selten auf der Halbinsel drauf gewesen, manchmal mit dem Bus gefahren, manchmal mit dem Fahrrad auf die Inselspitze das war auch damals schon sehr schön, ein kleiner Geheimtip. Ich ging manchmal zu Konzerten der Dorfkirche Stralau. Als Ich einmal mit dem Fahrrad zurückgefahren bin, bin ich in die Krachtstrasse abgebogen– die war damals an einem Ende zu, und da war dieses Glaswerk und diese Brauerei. Es war dunkel und gespenstisch und ich habe mir gesagt: Wenn es einen Ort gibt in Berlin wo du niemals wohnen möchtest, dann hier. Und genau an der Ecke, an der Ende der Krachtstrasse wo ich mich gegruselt habe, dort wohne ich jetzt.
PC/VM – Als die Wasserstadt gebaut wurde, waren Sie an den Diskussionen darüber beteiligt?
TT- Kurz nachdem ich hierher zog bin ich in die sogenannte ‚Betroffene Vertretung Rummelsburger Bucht‘ hineingegangen. Es war eine per Gesetz vorgeschriebene Bürgervertretung während der Entwicklungsmaßnahme Rummelsburger Bucht. Dort ging es um den Lärm vom Jugendschiff – eine nicht so glückliche Situation. Man hat mitten auf dem Wasser dieses Containerschiff hingestellt als Jugendclub, wahrscheinlich mit der Intention weit genug weg vom Wohngebiet zu sein, das es uns nicht stört. Es ist genau der Punkt, der am weitesten von Stralau und von Rummelsburg entfernt ist. Ich finde ja, man sollte alle Menschen in den Kiez integrieren. Der Jugendclub müsste genau mitten in den Kiez rein, das wurde aber nicht gemacht. Das Ärgerliche ist natürlich dass ein Schiff viel schlechter lärmisoliert ist als ein festes Gebäude. Das heißt, die haben ständig Probleme bekommen. Wenn abends Party war, hat sich der Schall kilometerweit über dem Rummelsburger See ausgebreitet. Die Leute haben immer die Polizei gerufen. Dieses Jugendschiff kann also selten eine Party machen und deswegen kommt kaum jemand und es ist ziemlich tot. Eigentlich traurig. Es war schlecht überlegt.
Dann ging es auch darum dass hier ein autoarmes Gebiet geplant werden sollte. Das hat man nicht richtig gemacht, da ging es um Parkplätze usw. Aber um Klänge ging es eigentlich nicht. Das vermisse ich eigentlich.
PC/VM – Wie hat dieses Gebiet geklungen? Hatte es einen besonderen Klang?
TT – Wo Industrien sind, sind schon immer Lkws lang gefahren. Die waren früher viel lauter als heute und haben gestunken, das ist heute alles besser geworden. Dann hatte man dieses Geräusch vom Straßenverkehr, später von Baumaschinen. Aber auf der Halbinselspitze? Dort war es absolut ruhig.
Man hat von der Halbinselspitze, wie heute auch, die Geräusche vom ‚Zenner‘ gehört, wenn da im Sommer Party war.. ansonsten war es sehr oft ruhig.
PC/VM – Ist Klang oder Geräusch ein Teil der Diskussion in Ihren Job, oder für Leute in diesem Gebiet?
TT – Ja, die Sounds werden…eigentlich sagt man hier nicht Klang oder Geräusch, man sagt nur Lärm. Und es geht eigentlich nur darum, wie man den Lärm vermeiden kann. Es gibt hier sogar eine Lärmaktionsgruppe, Leute die sich zusammenschließen und versuchen diese störenden Geräusche zu verhindern. Das kann ich aber auch sehr gut verstehen, weil manche Geräusche stören sehr. Ziel ist, das man die so vernetzt, dass nicht jedes Wochenende Lärm ist, sondern vielleicht ein Wochenende überall die Parties stattfinden und am nächsten Wochenende Ruhe ist. Ich denke die Diskussion ist schon einseitig, das man nur Lärm sagt. Das schwierige ist; wenn Leute Musik als Lärm empfinden. Das kann natürlich ein Problem werden. Wenn jede Musik als Lärm empfunden werden würde, dann würde es keine Musik mehr geben.
PC/VM – Gibt es ähnlich klingende Orte in Berlin?
TT – Ich kenne keinen Ort der vergleichbar ist, weil durch das Wasser und die Halbinsellage kommen viele Sachen aufeinander. Mann ist ein bisschen weiter weg, ich glaube das gibt es sehr selten in Berlin.
PC/VM – Hier hat sich vieles verändert: haben Sie das Gefühl das einige Klänge fehlen?
TT – Je mehr gebaut wird, desto mehr Brachflächen gehen verloren, desto einseitiger wird die Landschaft und die Natur. Und wenn die Landschaft einseitiger wird dann werden weniger Tiere und Vögel da sein, und dann wird es natürlich auch weniger Vogelgezwitscher geben.
PC/VM – Sollte die Autobahn oberirdisch oder unterirdisch sein?
TT – Die Autobahn ist ja bis hierhin schon gebaut, bis zum Dreieck Neukölln. Dann gibt es einen kleinen Tunnel, und dann soll sie in eine sogenannten Troglage gehen: sie wird in einem offenen Tunnel sein, 9 Meter tief, aber offen. Der Lärm wird immer raus kommen, natürlich nicht so laut als wenn man direkt daneben ist. Es wird auch angeblich Flüsterasphalt sein, das heißt der Asphalt macht die Rollgeräusche leiser, allerdings nur in den ersten Jahren: irgendwann sind die Poren verstopft, dann wird es wieder lauter werden. Ich habe allerdings selber bemerkt: die störenden Geräusche sind nicht die Rollgeräusche, sondern wenn ein Auto laut ist oder ein Motorrad langknattert, oder ein Rettungswagen. Diese Geräusche hat man immer auf der Autobahn, Tag und Nacht.
PC/VM – Könnten Sie einige Ihrer Lieblingsorte in diesem Gebiet beschreiben?
TT – Von der Halbinsel Stralau aus gesehen gibt es ja zwei Seiten: Einmal die Rummelsburger Bucht mit dem Rummelsburger See. Am Paul und Paula Ufer, ein verwunschener Ort, da gibt es ein paar Ecken wo es öfter mal still ist.
Auf der anderen, der Spreeseite, gibt es die Bahn- und Straßenbrücke. Das ist auch sehr interessant. Wenn ich auf der Treptower Seite unter der Brücke entlang gehe muss ich meistens anfangen zu singen weil da so ein schöner Hall ist. Oft abends im Sommer stellt jemand eine Anlage hin und macht eine kleine Party. Andere finden diese akustische Situation wohl auch ganz toll.
Dann gibt es immer noch ein paar Ecken, die Brachflächen sind, wo noch nichts ist. Zum Beispiel ziemlich nah an der Inselspitze, da wachsen lauter Brenneseln und Wildkräuter,
Hier direkt am Glaswerk Stralau ist es auch spannend, es gibt viel Graffiti. Viele Leute finden dieses Ambiente so toll, dass sie sich hinstellen und Fotosessions machen. Hier sieht man immer ganz andere Models die Fotografiert werden. Dann gibt es an der andere Seite noch eine Brachfläche wo viele Wildkräuter wachsen und entsprechend viele Vögel sind.
Ansonsten ist es sehr unterschiedlich. Viele Leute empfinden die Geräusche um uns herum oft als Lärm. Über den Rummelsburger See kommen die Geräusche von weit weg her, stören natürlich auch. Im Sommer haben wir fast jedes Wochenende Feuerwerk.
Auf der Treptower Seite gibt es viele Volksfeste, wir hören die Musik, die rüber kommt. Viele regen sich auf, wir versuchen zu organisieren, dass es nicht zu doll wird, weil es manchmal unschön ist. Auf der Spree fahren jetzt öfter mal Partyboote, die machen ihre Technomucke und fahren hier lang: man hat dieses Musik, dann ist es wieder vorbei. Dann wird hier viel gebaut. Das ist auch manchmal heftig, wenn wochenlang Betonteile mit dem Presslufthammer herausgeholt werden.
Wenn man hier ganz spät abends entlangspaziert ist es total ruhig. Man hört gar nichts.
Erst ganz früh am Morgen hört man das Vogelgezwitscher, dann fängt der Verkehrslärm an aus der Ferne. Man hört hier alles mögliche, aber aus der Ferne. Man ist in der Stadt, aber nicht direkt in der Stadt. Man hört die Bahn, S-Bahn, Straßenbahn, Straßenverkehr. Ein Wasserflugzeug, das ab und zu mal drüber fliegt…
PC/VM – Mögen Sie die Klänge hier? Sind Sie mit der Klanglandschaft zufrieden oder hätten Sie gerne was anderes?
TT – Ja, mir gefällt dieses Soundvielfalt sehr gut. Natürlich gibt es auch Sounds die ich als Lärm bezeichnen würde und mich stören, aber man hat hier immer einen Rückzugsort. Ich habe früher in Friedrichshain an der Boxhagener Straße gewohnt: dort war nur Lärm, immer Straße und Straßenverkehr und Kneipen und Straßenbahn, man konnte dem nicht entfliehen, aber hier hat man die Abwechselung zwischen Lärm und Ruhe. Wenn ich Jogge oder Fahrrad fahre würde ich niemals mit Kopfhörern fahren weil ich die Klänge viel zu interessant finde, als dass ich andere Musik in meinen Ohren brauche.
PC/VM – Das Thema des Treffens letze Woche war ‚An der Mole’…
TT – In diesem Gebiet ist auch eine Brachfläche, da ist ein Sportplatz der schon geräumt ist und dort sollen Häuser und Gewerbe hinkommen
PC/VM – Das passiert hier nicht mehr? Was passiert gerade mit ‚An der Mole‘? Gibt es Baupläne?
TT – Es wurden Pläne gemacht von einer ziemlich dichten Bebauung sehr nah ans Ufer. Das wollten die Bürger nicht. Wir haben eine Bürgerversammlung, eine Umfrage gemacht und die überwiegende Mehrheit möchte deutlich weniger Bebauung. Die Uferflächen, oder das Gebiet am See soll frei bleiben.
Wenn dieses Gelände verkauft wird ist es meistens so, dass die Gebiete direkt am Wasser am attraktivsten sind und als erstes bebaut werden, und danach an der Straße. Wir wollen das gerne umgekehrt, sodass nur an der Straße gebaut wird.
PC/VM – Gab es Pläne für Biotope?
TT – Wir kämpfen darum, dass wenigstens etwas Grünfläche ist. “Wildlife” wäre ein Traum: nicht nur Grünfläche. Wenn hier ein Park gemacht wird, wird die ganze Vegetation weg gemacht und Rasen ausgesät. Mann muss Ihn immer bewässern und es ist relativ tot. Ich wünsche mir dass etwas von der Vegetation die besteht, erhalten bleibt. Im Moment sollen 12 Meter Uferstreifen bleiben, wir wollen mindestens 25 Meter. Dort ist ein Fahrradweg und ein Fußgängerweg, ein schönes Biotop, wo es Biber und viele Tiere am Wasser gibt: dass soll auch alles möglich sein.
PC/VM – Tegel wird geschlossen und Schönefeld wird der Hauptflughafen sein. Werden die Flüge hier drüber fliegen?
TT – Soweit ich weiß werden nicht allzu viele hier drüberfliegen. Ich habe gute Kontakte zu der Initiative in Friedrichshagen am Müggelsee. Sie haben jetzt erfahren dass manche Flugrouten so geändert wurden, dass viele Flüge über den Müggelsee kommen sollen. Ich komme aus Friedrichshagen und kenne das Gebiet gut. Ich glaube es steht noch nicht fest, weil die Flugrouten ständig geändert werden: je nach Ost- oder Westwind starten Sie von der einen oder anderen Seite. Es wird wahrscheinlich Tage geben wo sehr viele Flüge über einen rüberdonnern– hier wahrscheinlich weniger, aber in anderen Gebieten. Ja, und dann wird es Tage geben, wo es relativ ruhig ist. Ich glaube mit Fluglärm könnte ich mich auch nicht richtig anfreunden, jedenfalls auf Dauer.
Übersetzung: Elen Flügge
Klänge von Rummelsburg und Stralau können hier nachgehört werden.
(http://favouritesounds.org/map.php?projectid=31″ http://favouritesounds.org/map.php?projectid=31)