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Interview mit Petra Kübert

Interview mit Petra Kübert, Rummelsburg, 25. Juni 2012
Peter CusackValeria Merlini

Im Jahr 2011/12 haben die Künstlerinnen Petra Kübert und Eva Kietzmann ausgiebig in Berlin-Rummelsburg gearbeitet. Sie haben zur Geschichte des Ortes recherchiert udn mit vielen Menschen gesprochen, die eine Verbindung zu diesem Ort haben – Anwohner, Architekten und ehemalige Insassen des Gefägnisses.
Ihre Arbeit mit dem Titel ‚After the Butcher‘ wurde von Dezember 2011 bis Januar 2012 ausgestellt (http://www.after-the-butcher.de/35_Kietzmann_Kuebert/de/index.html).

Rummelsburg hat sich im letzten Jahrzehnt komplett verändert. Momentan entwickelt es sich gerade zu einer stetig wachsenden Wohnsiedlung an der Rummelsburger Bucht. In der Vergangenheit war es Industrieanlage, Arbeitshaus (1859 bis 1949), NS-Arbeitshaus (1933 bis 1945) und ein Gefängnis (1951 bis 1990); diese Geschichte macht es zu einer Gegend mit einer ganz eigenen, teilweise dunklen, Seite.

 

 

PC/VM – Wie und wann habt ihr euer Projekt in Rummelsburg begonnen?

PK – Wir haben seit ca. 2010 genauer beobachtet wie sich das Areal verändert. Einerseits sind da immer noch die Abbruchhäuser und andererseits entsteht nach der 15-jährigen Zeit der Brache langsam etwas Neues. Im Juni 2011 haben wir begonnen mit Personen zu sprechen, die ganz unterschiedliche Bezüge zu diesem Areal haben.

In unserem vorherigen Projekt ‚Investitionsvorhaben Alexanderstrasse‘ war es ähnlich: wir haben uns dafür interessiert wie sich das Stadtbild durch Privatisierung oder Gentrifizierung verändert – inwieweit Investoren die Gestaltung von Stadtraum überlassen wird – & inwieweit man intervenieren kann. Am Beispiel Berlin Mitte – am Alexanderplatz. Die Geschichte dieses Ortes an der Rummelsburger Bucht ist auch sehr wechselhaft und steht im grotesken Gegensatz zu der neuen Gegenwart des Ortes.

Welche Relikte es aus den unterschiedlichen Zeiten sind heute noch vor Ort vorhanden, was davon können wir heute überhaupt noch einordnen? Was ist sichtbar und was ist unsichtbar? Wo entstehen neue Bezüge, groteske Brüche, Situationen die nicht unbedingt aufgehen. Hier denke ich z.B an Aufschriften von Werbebanners wie   ‚Wohnen im Denkmal‘ und ‚daydream‘ die Werbestrategien des Berlin Campus’s  “diverse Trailer – mit denen versucht wird dieses Areal heute lukrativ zu vermarkten.

Die Situation, dass ehemalige Inhaftierte des Arbeitshauses und der Haftanstalt hierher zurückkommen hat man hier relativ oft. Das sind oft ältere Leute, sie kommen, mit einer Person die sie gut kennen, sie schauen sich hier um und sehen dann heute ein Penthouse an dem Ort, wo sie damals inhaftiert waren. Solche Brüche haben wir beispielsweise dort gefunden und mit sehr unterschiedlichen Leuten geredet, die diesen Ort gestalten und gestaltet haben.Wir  haben mit Leute gesprochen die sich mit der Planung des Ortes befasst haben, mit der Landschaft, der Gestaltung der Landschaft und der Architektur. Wir haben beobachtet wie vor Ort, auf dem Areal der Rummelsburger Bucht eine neue Gegenwart und neue architektonische Oberflächen entstehen.

Dann haben wir angefangen mit den Anwohnern zu sprechen, auch mit Leuten die vor Ort und im Neubaugebiet Gedenkveranstaltung machen weil Sie an bestimmte Zeiten hier erinnern wollen, wie der ‘Arbeitskreis  Marginalisierte’, der seinen Fokus auf der NS-Zeit hat oder der Verein ‘Wir Erinnern’, der sich mit der DDR-Zeit befasst.

Uns hat auch interessiert welche Möglichkeiten der Bezirk überhaupt noch hat – innerhalb von Privatisierung und diverser ökonomischer Interessen – einzuwirken und wie sich die urbane Oberfläche durch Privatisierung gestaltet.

PC/VM – Als ihr mit dem Recherchieren fertig wart, zu welcher künstlerischen Arbeit habt ihr euch entschlossen?

PK – Angedacht war ein interventionistischer Audioguide über das Gelände. Ein künstlerischer Audioguide mit Momenten in denen man auch vor Ort eingreift. Künstlerische Interventionen vor Ort. Das war die erste Idee. Dann haben wir angefangen mit diversen Leute zu reden. Wir haben 20 Leute interviewt, jedes Interview ist 1-4 Stunden lang.  Wir haben ein dicken Ordner mit Transkriptionen und haben auf unserer Ausstellung dann eine Soundskulptur mit dem Audiomaterial gestaltet, mit einem symbolischem runden Tisch in der Mitte. Der politische ‚runde Tisch‘ hätte im letzten Herbst 2011 stattfinden sollen, aber er hat nicht stattgefunden und von daher haben wir das jetzt in unsere Ausstellung, in den Kunstkontext aufgenommen und haben ein runden Tisch gebaut. In der Mitte des Tisches haben wir Schilfpflanzen aufgestellt, die man hier im Gebiet oft findet. Zu jeder Schilfpflanze gab es ein Interview in voller Länge – die Anwohner haben viel gekürzt. Andere, die ehemaligen Inhaftierten, die Stadtplaner und auch die Politiker haben uns das Material überlassen.  Die Anwohner_innen gingen Wort für Wort durch die Transkriptionen und entschieden schließlich was wir in der Ausstellung benutzen durften und was nicht. Daher sehr viele Streichungen interessanter Interviewpassagen. Einen Teil des Archives der ‚ Wasserstadt GmbH, die das Gebiet entwickelt hat, haben wir aus deren Archiv in unsere Ausstellung versetzt. So war eine öffentliche Recherche möglich.

Ein Fokus lag auch darauf in wieweit die Geschichte jetzt im Alltag der Anwohner_innen zurückkommt.  Wenn Sie zB. in den alten Gebäuden wohnen, in der ehemaligen Haftanstalt, dann steckt es noch in den Mauern drin.  Auch in Form der schimmeligen feuchten Wände. Die Wohnungen sind kleine Apartments aber plötzlich stösst man unvermittelt auf ganz dicke Mauern, die den feinen Appartements eine groteske Note geben. Eine Frau hat uns erzählt dass in ihrem Alltag die Geschichte des ganzen Gebiets oder zumindest die des Hauses in dieser Mauer steckt. Besucher_innen sind regelmässig von der dicken Mauer irritiert.

Manche Anwohner_innen hat auch gerade die Geschichte interessiert, die sind hierhergekommen als es noch Ruinen waren und haben sich das alles angeguckt und fanden dass das ein passender Platz für ihr Eigenheim ist.

Wir haben begonnen aufgrund dieser Brüche, diverser Informationen und Details künstlerische Interventionen zu entwickeln.

PC/VM – Als ihr gefragt wurdet, die Interviews zu bearbeiten, habt ihr dem zugestimmt?

PK – Ich fand es schade, dass viel gestrichen wurde und dann wichtige Dinge gefehlt haben. Im Radio Feature  wollen wir das thematisieren, so dass wir zumindest hier darauf eingehen können was die Umstände waren, unter denen diese Interviews enstanden sind. Es klingt alles authentisch aber es ist doch sehr gefiltert und unsere Fragestellungen sind oft nicht beantwortet worden.

In der künstlerischen Intervention vor Ort haben wir die Geschichte des Ortes mit der heutigen Gegenwart zusammen gebracht. Wir haben mit Texten und Schildern gearbeitet. Unter Anderem mit Textur-Zitaten im Backsteinlook.

Die unterschiedlichen Backsteinfassaden haben uns interessiert; Blankenstein war der Architekt des Arbeitshauses und der Haftanstalt und vieler öffentlicher Gebäude in Berlin. Er hat in den 20er, 30er Jahren mit Backstein gebaut und hier im Neubaugebiet baut man ja nun so ähnlich, ‘fake’ Backstein. ‚Brickworks‘ nennt man ja diese Häuser.  Die unterschiedlichen Materialklänge der Fassaden kann man über Piezomikrofone hören, wahrnehmen wie das klingt, was in dem Haus evtl.  noch gespeichert ist.

PC/VM – Ihr habt mit Architekten gesprochen, die – wir ihr gesagt habt – ihre Pläne änderten, als mit dem Bauen begonnen wurde. Könnt ihr dazu etwas sagen?

PK – Es war ein Wettbewerb der Stadt Berlin. Das Büro Brenner und Thomanek, Architekten und Landschaftsplaner, haben gewonnen und den Masterplan erstellt. Dann wurde aber Stück für Stück verkauft und nur ganz vorne am Ostkreuz  wurde der Masterplan auch umgesetzt – diese Blöcke, diese dunklen backsteinartigen Blöcke kamen auch im Masterplan vor. In Richtung Lichtenberg hat sich der Bebauungsplan hingegen sehr verändert – weil hier natürlich auch verkauft worden ist an einzelne kleinere Baugruppen, die wollten Reihenhäuser. Nur die Haftanstalt, das ehemalige Arbeitshaus ist noch geblieben. Die Architekten sind nicht so zufrieden wie es jetzt heute ist. Sie sagen Sie hätten sich das städtischer vorgestellt und jetzt ist es ‘Kleinfamilien-Idylle’. Für uns stand die Idylle immer im Kontrast zur Geschichte: die spielenden Kinder im Kontrast zu dem was früher hier war. Leute waren zu verschiedene Zeiten hier eingesperrt und jetzt befinden sich Besitzer_innen von Eigenheimen hier mit ihren Kindern und haben keinen Bezug zur Vergangenheit des Areals. Indem der Ort durch Privatisierung so umgewidmet ist dass man Heute nichts mehr sieht. Wir wissen dass hier noch Relikte sind: z.B aus der NS-Zeit. Zu sehen sind die mittlerweile wieder zu zementierten Druchbrüche in der Gefängnismauer. Im NS mussten die Insass_innen des Arbeitshauses hier durch um im Zwangarbeiterlager der IG Fraben auf dem Grundstück nebenan zu arbeiten. Es gibt mehrere solcher markanter Stellen. Wir haben sie fotografiert und in unsere interventionistische Ortsbegehung aufgenommen.

PC/VM – Waren Gespräche die einzigen Klänge, die ihr von dieser Gegend verwendet habt, oder gab es noch andere Klänge wie Schiffe und Vögel?

PK – Wir sammeln hier vor Ort natürlich auch die unterschiedlichen Atmosphärenklänge. Die Atmosphären der Gegenwart des Ortes. Hafengeräusche, Freizeitatmos, Materialklänge und Kommentare von Leuten vor Ort, von Leuten die vorbeigelaufen sind und nachgefragt haben. Immer wenn sie die etwas lückenhaften Informationen auf den Tafeln lesen und kommentieren zum Beispiel.

PC/VM – Wir machen Aufnahmen und dokumentieren zwei Plätze: Stralau und Medaillonplatz. Das sind ganz neue Stadtteile. Klingen diese für Sie besonders, fehlen einige Klänge?

PK – Man hört natürlich das Wasser und die Schiffe, die Vögel, die Natur. Und dann….es ist hier immer ein bisschen wie in einem Vakuum… Luft…markant ist die akustische Leerstelle.

PC/VM – Welche Klänge oder Geräusche würden sie gerne hier hören, die Sie nicht hören?

PK – Ich würde gerne hören, was die inzwischen uralten Mauern etc. dieses Areals zu erzählen haben.

PC/VM – Wie würden Sie Klänge aus der Geschichte nach Rummelsburg bringen?

PK – abstrakte Klangcollagen aus Fieldrecordings und Interviews. Wir dachten an eine Intervention im öffentlichen Raum die mit Sound verknüpft ist. Die ehemaligen Gefangenen die hier herumlaufen, bringen Ihre Geschichte einfach mit. Man erkennt sie momentan noch immer daran, dass Sie ein bisschen suchend unterwegs sind, wie Geister die hier auftauchen, und das passiert irgendwann nicht mehr.

PC/VM – Was ist das ‘Artist Village’ (‘Künstler-Dorf’), das es hier gibt?

PK – Was uns noch interessiert hat war das Artist Village, diese schwarz, weiß und anthrazitfarbenen Domino-Häuser. Wir haben uns gefragt welche Künstler_innen hier wohnen. Aber eigentlich wohnen da gar keine, das ist mehr die Marketingstrategie. Das ist eher problematisch- Künstler haben ja nicht unbedingt das Bedürfnis hier in einem fertigen und durch designeten Gebiet zu wohnen – auch nicht das Geld- und deshalb ist es ein bisschen widersprüchlich. In diesen Eigenheimen, die ‚Artist Village‘ genannt werden wohnen einfach ganz normale Familien.

PC/VM – Als ihr mit Menschen gesprochen habt, die in Rummelsburg leben, hat irgendjemand von Klang gesprochen?

PK- Die Leute mögen hier das akustische Vakuum, die Stille, sehr. Sie wollen ausserhalb der Stadt sein. Manchmal, wenn der Wind richtig steht kann man auch das Brummen und Dröhnen des Kraftwerkes hören.

PC/VM – Gibt es irgendwelche Aktionen, zu unterbinden, dass hier immer wieder Soundsysteme für Parties aufgestellt werden?

PK – Nein, aber manche sagen, sie seien früher auch laut gewesen, deshalb ist das okay.

PC/VM – Hast du irgendwas über die neuen Entwicklungen ‘An der Mole’ gehört?

PK – Das Ostkreuz wird zu einem großen Bahnhof ausgebaut und die A100 wird verlängert. Der Architekt der damals den Masterplan gewonnen hat, Theo Brenner, wollte eine Parkanlage haben, vom Ostkreuz hierher, so dass das Areal angeschlossen ist und nicht so eine Insellage hat. Aber ob das umgesetzt wird? Ich denke mal nicht.  Das Gebiet an der Mole wird wahrscheinlich Stück für Stück verkauft.

PC/VM – Gab es überraschende Geschichte die erzählt wurden?

PK – Ziemlich traurige Geschichten – aber auch überraschende Umstände. Einmal hatten wir auf dem Areal einen Interviewtermin, Abends im Winter, ein Anwohner hat sich so verkleidet als ob er aus der Haftanstalt oder dem Arbeitshaus kommt, mit künstlichem Blut, Wunden und zerrissenen Klamotten, Kohle im Gesicht verschmiert und sagte: ab acht Uhr sehen hier alle so aus. Na ja. Vielleicht finden die Anwohner_innen unser projekt auch seltsam.

Ach ja nochwas . Die Architekten, die später alles umgesetzt haben, haben berichtet was die alles in der Erde gefunden haben. Das Waisenhaus hatte einen Sportplatz, und der hatte eine Teerschicht aus den 20er oder 30er Jahren, diese war mittlerweile viele Meter unter der Erde.  Als sie angefangen haben zu bauen, und Reihenhäuser hingestellt haben, haben sie bemerkt das nichts wächst, nur Blumen mit kurzen Wurzeln, keine Bäume – und Sie haben gemerkt dass noch ganz viel sperriges im Erdreich lagerte. Sie mussten das alles raus holen: Trümmer aus den unterschiedlichsten Epochen.
Auf dem Gelände wo früher unter Anderem zu Zeiten der Weimarer Republik das Waisenhaus war, war auch die NVA, die Armee der DDR. Ins besondere aus dieser Zeit, als hier die Truppenübungsplätze waren, sind noch viele Reste  vorhanden.  Im Boden sind daher noch obskure Gegenstände –  Umstände die die Baurbeiten immer wieder auf Eis legen bzw. fast unmöglich machen.

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